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Im Atlantic Tal...
(60) Ortung, Navigation, Datenfusion – rund um die Arktis
„Wenn man von oben auf den Globus schaut, dann werden alle Nachbarn“, sagt Professor Wolfgang Koch, „und damit sind auch die Konfliktherde eng benachbart“. Die nördlichen Meere rund um die Arktis sind kalt und mitunter zugefroren, aber zugleich auch ökologisch, ökonomisch und geopolitisch heiß umworben – denn das Eis wird durch die Erderwärmung weniger, die bereits jetzt bedeutsamen polaren Seerouten noch bedeutsamer. China spricht bereits von einer „polaren Seidenstraße“. Der Engpass zwischen Norwegischer See und dem Atlantik hat eine hohe strategische Bedeutung. Umso wichtiger ist deshalb das Wissen über diese Region.
In dieser Folge des Atlantic Talk Podcasts geht es um moderne Technologien der Ortung und Navigation, der Kommunikation und der KI-gestützten Datenfusion – unter Wasser, auf dem Wasser und über dem Wasser. Zu Gast ist Professor Dr. Wolfgang Koch, Leiter der Abteilung „Sensordaten- und Informationsfusion“ am Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) und Vorsitzender und Mitgründer des Fachausschusses »Unterwasserortung, ‑navigation und ‑kommunikation« der „Deutschen Gesellschaft für Ortung und Navigation“ (DGON).
Eine besondere Rolle spielt bei der maritimen Ortung und Navigation nach wie vor der Schall. Auf Grundlage der Sonar-Technik (Sound navigation and ranging, Schall-Navigation und ‑Entfernungsbestimmung) sammeln multiple Systeme Daten: Schiffe, sensorbestückte U‑Boote, unbemannte Systeme an der Wasseroberfläche und Unterwasser-Drohnen. Über dem Wasser sind fliegende Aufklärungsdrohnen unterwegs, aus dem All beobachten Satelliten die Region.
Im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt erläutert Koch, welche Rolle dabei moderne Technologien spielen, um in der Fülle von Daten und „im Schall-Salat die Stecknadel im Heuhaufen zu finden“: multistatisches Sonar, Quanten-Sensoren und der Multisensor-Ansatz der SARah-Satelliten.
Ähnlich wie bei der Entwicklung des zukünftigen Luftkampfsystems „Future Combat Air System“ (FCAS) geht es auch bei den künftigen maritimen Systemen zur Aufklärung, Navigation und Kommunikation um das Zusammenfügen und die Auswertung aller relevanten Daten. Koch spricht von einer „kognitiven Maschine“, die das menschliche Wahrnehmen unterstützt, Lagebilder erzeugt und mithilfe von künstlicher Intelligenz den menschlichen Entscheiderinnen und Entscheidern Handlungsoptionen unterbreitet. Dazu muss das KI-basierte System eine Reihe von besonderen Fähigkeiten haben: Grenzen und Lücken des Lagebildes kennen, Fehlinformationen, Störungen und Täuschungen erkennen und wissen, welche Handlungsoptionen mit dem Völkerrecht und dem moralischen Anspruch der NATO vereinbar sind.
Noch sind die Systeme in der Entwicklung und Deutschland sei bei einigen dieser Technologien „weit vorne mit dabei“. Damit das so bleibt, betont Professor Wolfgang Koch die Wichtigkeit der Kooperation von Wissenschaft, Militär, Wirtschaft und Politik und plädiert für eine Zeitenwende in der Forschung zu diesen Technologien, die im Grunde alle Dual-Use-Charakter haben.
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43:30
(59) Sind die „un-vereinigten“ Staaten von Amerika noch zu retten?
Die Vereinigten Staaten sind in einem Ausmaß zerstritten wie zuletzt im amerikanischen Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert, so Politikwissenschaftler Stephan Bierling. Die Hauptursache sieht er in der parteipolitischen Polarisierung, die inzwischen alle Institutionen und Akteure der amerikanischen Demokratie erfasst habe. Dabei sind die USA die älteste bestehende Demokratie dieses Planeten und noch immer Weltmacht Nummer eins, von der gerade Deutschland profitiert hat. Grund genug, sich die Polarisierungs-Entwicklung in den USA genauer anzuschauen.
Es stehe bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen so viel auf dem Spiel, dass Professor Bierling sie als „die wichtigsten Wahlen in meinen Lebzeiten“ bezeichnet. Denn sollte Donald Trump erneut gewählt werden, würde ein Mann Präsident werden, der „keine demokratische Faser in seinem Leibe“ habe und der versuchen werde, „wohlvorbereitet durchzuregieren“. Demgegenüber seien die Demokraten keine Gefahr für die Demokratie, wenngleich sie Fehler gemacht und auch zur Polarisierung beigetragen hätten.
Im Atlantic Talk Podcast beleuchtet Moderator Oliver Weilandt mit dem Politikwissenschaftler eine Reihe von Polarisierungs-Faktoren im politischen System der USA, die das in der Verfassung fest verankerte System der checks and balances zunehmend ins Wanken und die präsidiale Gewalt einseitig gestärkt haben:– Die Gerichtsbarkeit mit dem Urteil der Straffreiheit für präsidiales Handeln während der Amtszeit,– der Föderalismus, in dem sich die Parteien einzelne Bundesstaaten praktisch untertan gemacht haben,– die Macht reicher Influencer und Medien, die bar jeder Neutralität nur einem Kandidaten dienen,– die Wahlen, in denen sich durch das Gerrymandering Politikerinnen und Politiker ihre Wahlkreise zuschneiden,– das Verhältnis von Legislative und Exekutive, da im Kongress Blockade statt Mäßigung waltet.
Ankündigungen des Kandidaten Trump, er werde – nach dem Straffreiheitsurteil des Supreme Court – zur Durchsetzung seiner Interessen nicht davor zurückscheuen, gegebenenfalls die Nationalgarde einzusetzen und die Streitkräfte zu säubern, hält der Politikwissenschaftler Bierling für Fantastereien. Er sieht in den Streitkräften vielmehr einen Garanten für die Einhaltung der Verfassung und hält Bürgerkriegsängste für unangebracht.
Auch gebe es Tendenzen, die zurück in Richtung Ausgleich, Kompromiss und Mäßigung wirken. Bierling verweist zum Beispiel auf das Thema Abtreibungsrecht in den USA, bei dem sich ein neuer Konsens herauszubilden scheine. Seine größte Hoffnung setzt er aber auf die demografische Veränderung: Die USA würden durch Zuwanderung „bunter“. Nicht zuletzt diese migrantischen Gruppen hätten andere Ziele als die weißen, ideologischen Eliten. Sie würden „normalere Politik“ bevorzugen und könnten sich damit in einigen Jahren durchsetzen. Der Ausgang der diesjährigen US-Wahlen bleibt jedenfalls spannend, und mit einem Tipp zum Ergebnis ist der Politikwissenschaftler vorsichtig. Aber er verrät, auf wen er eine Flasche Wein gesetzt hat …
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41:52
(58) NATO-Jubiläumsgipfel: Schlüsselentscheidungen für die Zukunft?
Das sicherheitspolitische Umfeld ist heute das gefährlichste seit dem Ende des Kalten Krieges, und es herrscht Krieg in Europa, Krieg im (Noch-)Nicht-NATO-Mitgliedstaat Ukraine. Einige Tage nach dem NATO-Jubiläumsgipfel in Washington geht es im Atlantic Talk Podcast um die Frage, wie das transatlantische Bündnis der 32 NATO-Staaten gegen äußere und gegen innere Gefahren gewappnet ist.
Auf ihrem Washingtoner Jubiläumsgipfel hat die NATO fünf Lücken definiert, in denen ihre Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit dringenden Nachholbedarf hat. Was darüber hinaus aus Sicht der NATO-Expertin Dr. Gerlinde Niehus fehlt, ist eine dezidierte Russland-Strategie. Nirgends wird das so deutlich wie bei den zeitlich unbestimmten Beschlüssen über einen möglichen Beginn von NATO-Beitrittsverhandlungen oder einer langfristigen finanziellen Unterstützung der Ukraine. Auch der Washingtoner Gipfel habe hier nicht als mehr den NATO-typischen Minimalkonsens zustande gebracht.
Nicht zu unterschätzen sei allerdings die Entscheidung ein NATO-Hauptquartier in Wiesbaden einzurichten, das der Koordinierung der militärischen Ukrainehilfe und der Ausbildung ukrainischer Soldaten an westlichen Waffensystemen dienen soll. Das und der Beschluss bis 2026 drei US-amerikanischen Waffentypen zur Abschreckung und Verteidigung des NATO-Gebietes zu stationieren, komme der Ukraine zugute und mache die NATO auch sicherer für den Fall einer Wiederwahl des allgemein als NATO-kritisch beurteilten US-Republikaners Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten.
Gemeinsam mit Moderator Oliver Weilandt diskutiert die seit 2019 in Diensten der NATO tätige stellvertretende Direktorin für die Sicherheitskooperation mit den Partnerländern u.a. den unlängst von Professor Sarotte von der Johns-Hopkins-School of Advanced International Studies eingebrachten Vorschlag für eine sehr zeitnahe Aufnahme nur des nicht russisch besetzten Teils der Ukraine in die NATO. Der deutschen Teilung ähnlich müsse der russisch besetzte Teil und die Frontlinie de jure nicht anerkannt, ihre Realität aber andererseits nicht geleugnet werden. Russland werde es dann nicht wagen, weitere Gebiete der Ukraine anzugreifen, so Sarotte, denn das habe es bisher noch nie getan.
Es geht in dieser Episode auch um die Nationalisierung innerhalb der NATO-Staaten, die zunehmende Bedeutung der Gewinnung neuer NATO-Partner wie Indien und die Kooperationsaufgaben, die die europäischen NATO-Mitglieder in ihren Beziehungen zu den NATO-Partnern erfüllen können.
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44:16
(57) Der Iran bedroht auch Europa
Immer weiter hat der Iran in den letzten Jahrzehnten seine Machtstellung im Nahen und Mittleren Osten ausbauen können. Längst habe er auch Saudi-Arabien in den Schatten gestellt. Seine Langstreckenwaffen reichten schon heute bis nach Deutschland und sein Atomprogramm sei weit fortgeschritten, sagt Dr. Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Eine ernste und umfängliche militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der auf das Engste mit der »Islamischen Republik Iran« verbundenen Hisbollah im Libanon und sogar die Entsendung israelischer Bodentruppen hält er mittelfristig für unvermeidlich. Ob der massive Angriff der Hisbollah mit 170 auf Israel abgefeuerten Drohnen und Raketen vom 13. Juni dazu der entscheidende Anlass sein wird, das sei am heutigen Tag (13.06.2024) noch nicht zu sagen.
Der langjährige Referent für Islamistischen Terror im Berliner Kanzleramt analysiert im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt das Netzwerk der schiitischen Proxys: von der Hamas in Gaza über die jemenitischen Huthi, die Milizen in Syrien und dem Irak bis zur Hisbollah. Sie alle eint mit dem Mullah-Regime in Teheran ein tiefsitzender Hass auf den jüdischen Staat Israel. Gleichzeitig werden sie aber missbraucht und instrumentalisiert für die imperialistischen Ziele der iranischen Führung um den 85-jährigen »Obersten Führer« Ajatollah Ali Chamenei.
Auch nach dem Tod des früheren iranischen Präsidenten Raisi im April dieses Jahres und angesichts des hohen Alters von Ali Chamenei zeichne sich keine wesentliche politische Änderung durch eventuelle Nachfolger wie den Sohn des Ajatollahs Modschtaba Chamenei ab. Einen Sturz des im wesentlichen von den Revolutionsgarden kontrollierten Regimes sieht Steinberg seitens einer künftigen neuen Führungspersönlichkeit nicht. Die größte Gefahr gehe vielmehr von der mangelnden Unterstützung des Volkes aus, das bei weitem nicht geschlossen hinter der Regierung steht. Dass die Zivilgesellschaft schon Tausende von den Revolutionsgarden und ihren Schlägertrupps ermordete Kritiker verloren hat, lässt allerdings alles andere als eine »friedliche Revolution« erwarten.
Auch die geopolitischen Perspektiven wertet der Islamwissenschaftler Steinberg als wenig mutmachend. Die in den letzten Jahren ausgebauten Beziehungen des Iran zu Russland und China und nicht zuletzt die Aufnahme in die BRICS+-Gruppe stelle eine enorme internationale Aufwertung für den Iran da. Diese Aufwertung ist auch die Währung, mit der Russland die umfassende Belieferung mit iranischen Drohnen für seinen Krieg in der Ukraine bezahlt. Auch hier wird für Guido Steinberg deutlich, wie sich der Iran in eine Allianz von Feinden einreiht, die nicht nur Israel, sondern auch Europa und die Weltsicherheit zunehmend bedrohe.
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47:37
(56) Ohne Perspektive? Israel und die Palästinenser
„Es ist der Versuch, Europa mit ins Spiel zu bringen“, sagt Werner Sonne zum Vorschlag von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, eine EU-Kontrollmission am Grenzübergang zwischen Gaza und Ägypten wieder aufzunehmen: „Das kann man durchaus für einen guten Versuch halten“.
Es ist ein Aspekt der großen Frage: „Wie geht es weiter mit dem Gaza-Streifen?“ Und die wiederum ist ein Aspekt der noch größeren Frage: „Wie soll es überhaupt weitergehen mit der Palästinenserfrage?“
Dass mit Norwegen, Spanien und Irland nun neuerdings insgesamt 146 Staaten Palästina als eigenständigen Staat anerkennen, bewertet der langjährige ARD-Korrespondent als „weiteren symbolischen Versuch, Israel in die Enge zu treiben und endlich eine Lösung zu finden“. Doch auch hinter diesem Versuch stünden weitere Fragen: „Welcher Staat soll denn anerkannt werden? Wie soll er aussehen? Aus welchen Gebieten soll er bestehen?“
Werner Sonne erläutert im Gespräch mit Moderator Oliver Weilandt viele der komplexen Zusammenhänge im Nah-Ost-Konflikt – allgemein und insbesondere in Bezug auf die gegenwärtige Situation nach dem Überfall von Terrorkommandos der Hamas auf israelische Zivilistinnen und Zivilisten am 7. Oktober 2023 mit grauenvollen Massakern an der Zivilbevölkerung, mehr als 240 entführten Menschen und den darauf folgenden Angriffen Israels auf Gaza mit dem Ziel, die Hamas zu vernichten und die Geiseln zu befreien. Zahlreiche wiederum zivile Opfer in Gaza führen seitdem zu einem Widerspruch zwischen humanitärem und militärischem Völkerrecht.
Innenpolitisch stelle sich für Israel die Frage, ob und wie lange die ultrarechte Regierung Netanjahus an der Macht bleibt. Längst droht der größte innenpolitische Gegner des israelischen Ministerpräsidenten, Oppositionsführer Benny Gantz, mit Rücktritt aus dem sogenannten Kriegskabinett, wenn der Ministerpräsident nicht bald eine Perspektive für die Zukunft Gazas formuliert.
Immerhin: An der diplomatischen Front gebe es jetzt etwas Bewegung, sagt Werner Sonne, dennoch sei die Palästinenserfrage sei derzeit besonders schwer zu beantworten. Während er einer Ein-Staaten-Lösung aus demografischen Gründen gar keine Chancen einräumt, bleibe die seit Jahrzehnten auch von westlichen Staaten angestrebte Zwei-Staaten-Lösung grundsätzlich eine Option; allerdings nicht in der unmittelbaren Zukunft: zum einen, weil völlig offen sei, wer in einem palästinensischen Staat die Führung übernehmen könnte und zum anderen wegen der derzeitigen israelischen Regierung:
„Wir haben drei Spieler, die nicht wollen oder nicht können oder nicht infrage kommen“. Deshalb sei eine Zwei-Staaten-Lösung „zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Illusion“. Das sehe auch die deutsche Bundesregierung so.
Die wiederum – wie generell „wir Deutschen“ –, so Sonne, „habe eine besondere Verantwortung gegenüber dem Staat der Juden“, die sich aus dem Holocaust ergebe. Diese besondere Beziehung beschreibt er auch in seinem gerade im Verlag C. H. Beck erschienen Buch „Israel und Wir“. Auch in Zeiten, in denen Israels Ansehen zunehmend unter Druck gerät und das Land weniger weltweite Unterstützung erhält, ergebe sich aus dieser Verantwortung stets der Einsatz für das Existenzrecht Israels. Mit Blick auf die antisemitischen Ausschreitungen im Rahmen der Besetzung der Humboldt-Universität zu Berlin folge aus der erstmals von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel so genannten »Deutschen Staatsräson«, dass Antisemitismus in Deutschland keinen Platz haben darf.
Interessante Gäste, die ihre topaktuellen Informationen und ihr profundes Hintergrundwissen zu internationalen Sicherheitsfragen mit uns teilen.
Im Atlantic Talk kommen Menschen zu Wort, die sich beruflich mit den Veränderungen von Sicherheitslagen befassen, die Nuancen aufspüren; Experten, die diplomatische oder militärische Verschiebungen bewerten und die ihre Analyse dann in politische Handlungsoptionen umsetzen.
Immer am letzten Donnerstag jeden Monats!